Fast schon aus Tradition, aber auch, weil es viel Neues zu berichten gab, habe ich Marc Gruppe und Stefan Bosenius von Titania Medien auch im Jahr 2020 zum Sommerinterview getroffen. Neben den Änderungen, die die Corona-Pandemie mit sich gebracht hat, gibt es auch viele Infos zu den kommenden Hörspielen und zu einigen besonderen Folgen aus dem letzten Jahr - und nach dem Tod von Dagmar von Kurmin schöne Erinnerungen an die Gran Dame. Die kursiv gedruckten Passagen hat Stefan Bosenius zum Gespräch beigesteuert.

Wie geht es euch im Hause Titania Medien? Hat sich die Corona-Krise in eure Produktionsabläufe eingeschlichen?

Als der Lockdown kam waren wir tatsächlich mit allem fertig, was im Frühjahr rauskommen musste, was erst einmal eine gute Sache gewesen ist. Alle Aufnahmen waren im Kasten, ein oder zwei Tage vor dem Lockdown war das letzte Mastering. Was das betrifft, lief es schon mal ganz gut. Der Nachteil an der Geschichte war, dass vier Produktionen in dieser Corona-Zeit herauskamen und natürlich ein bisschen in ein schwarzes Loch gefallen sind. Der größte Umsatzplatz für unsere Hörspiele auf CD ist einfach Amazon, die sich dazu entschlossen haben, nur noch lebenswichtige Dinge zu verschicken, also Klopapier, Nudeln und Mehl. Die Novitäten wurden gar nicht mehr eingepflegt. Sie lagen bei unserem Vertrieb im Lager, waren von Amazon vorbestellt, aber wurden nicht abgerufen. Wir waren sehr damit beschäftigt, aufgeregte Kunden zu beruhigen und zu anderen Händlern zu lenken – was uns teilweise auch den kleineren Händlern gegenüber gefreut hat. Es ist eine schöne Sache, wenn auch Amazon-Kunden mal die Erfahrung machen, dass es auch sehr schön ist bei pop.de zu kaufen, oder bei audiamo oder jpc, dass auch andere Händler einen guten Job machen. Uns ist auch der ganze stationäre Buchhandel und Media Markt / Saturn weggebrochen. Insofern kann man sagen, dass wir von den vier Gruselkabinett-Folgen noch reichlich CDs rumstehen haben, die dort auch wahrscheinlich rumstehen bleiben. Das ist leider die Erfahrung: Was einmal nach der Veröffentlichung nicht abverkauft ist, kommt dann auch nicht mehr an den Kunden. Wir waren dann doch nicht so pessimistisch, weil das digitale seit einigen Jahren schon viel wichtiger ist. Da haben wir gedacht, dass das eine stabile Geschichte ist, haben aber in dem Moment nicht damit gerechnet, dass viele Menschen (wie wir auch) erst einmal so irritiert waren, dass man jetzt nicht unbedingt die Lust verspürt hat, sich dauernd unterhalten zu lassen. Und wir haben auch nicht daran gedacht, dass uns jetzt die ganzen Pendler fehlen, die morgens auf dem Weg zur Arbeit oder abends wieder zurück als Stream unsere Hörspiele hören. Insofern waren diese Zahlen leider auch nicht mehr ganz so toll. Aber das ist sicherlich auch Jammern auf hohem Niveau, es ist alles noch okay, aber es gab dennoch einen ganz erheblichen Einbruch der üblichen Zahlen. Aber es wird nur sehr wenige Gewerbe geben, in denen dieser Knick im März nicht in den Büchern ersichtlich ist.

Wir hatten dann sowieso die Phase, wo ich (Marc) wieder Dialogbücher schreibe. Das habe ich dann auch versucht, aber parallel mit Ganztageskinderbetreuung im eigenen Haus ist das auch nicht so schnell von der Hand gegangen, wie ich das normalerweise mit üblichen Bürozeiten geschafft habe. Und es war nochmal die Erfahrung zu verzeichnen, dass es unter solchen Umständen, die von uns ja bisher keiner in dieser Art und Weise erlebt hat, nicht so einfach war, kreativ zu sein. Da habe ich auch sehr schöne Gespräche mit Künstlern und befreundeten Kollegen in der darstellenden Kunst geführt, denen das auch allen so ging. Es war schwierig, wenn man so gar nicht weiß, in welche Richtung und wie lange das jetzt so geht. Oder was die Perspektive ist, ob es überhaupt eine gibt oder ob das jetzt immer so ist. Das sind alles so Dinge, die bei der Kreativität ordentlich auf die Bremse gedrückt haben. Es hat ein paar Wochen gedauert, bis ich da für mich eine Lösung gefunden habe, wie ich mich selbst überlisten konnte, um wieder mehr Freude an diesem kreativen Prozess zu entwickeln. Ich habe dann für mich einfach beschlossen, dass ich mich dem Druck nicht aussetzen muss und ich einfach schaue, was jetzt geht. Tatsächlich sind wir am Ende so rausgekommen, dass alles fertig war, als es auch fertig sein musste. Es war natürlich knapp wie immer, aber es waren vier Gruselkabinett-Folgen geschrieben, was erst einmal für die nächsten Aufnahmen reichte. Wir haben aber mehr als ohnehin schon über den digitalen Weg aufgenommen. Ich bin nicht in Berlin, Hamburg oder München gewesen, sondern saß brav in Hilden im Aufnahmestudio, wo ich Regie geführt und zugehört habe, was in den anderen Studios gemacht wurde. Die anderen Studios waren so freundlich, das alles aufzunehmen und uns zur Verfügung zu stellen. Es war im Prinzip alles genau wie immer, ich habe sämtliche andere Texte gesprochen und das mit den Schauspielern gespielt, aber ich war eben nicht vor Ort. Das wird sicher die Zukunft sein, da das Reisen auch nicht mehr so einfach möglich ist und man das vielleicht nicht auch immer so gerne möchte. Je weniger Menschen bei einem Aufnahmetag anwesend sind, umso sicherer für uns alle. Wie jeder weiß, arbeiten wir sehr gerne mit reiferen Schauspielern und die gilt es ja auch ganz besonders zu schützen.

Man hat ja immer wieder gelesen, dass Netflix und Disney Plus rasenden Absatz haben und die Streaming-Zahlen nach oben gehen. Es erstaunt mich ein wenig, dass das im Hörspielbereich nicht so gewesen ist.

Wie wir das im Freundeskreis mitbekommen haben, waren die Leute auf einmal mit etwas ganz anderem konfrontiert. Die Kinder sind den ganzen Tag zu Hause, wenn man drei Kinder unterschiedlichen Alters hat, vom Kindergarten bis zum Gymnasium, und die im Homeschooling sind, hast du den ganzen Tag etwas anderes zu tun und nicht die Muße, Entertainment-Produkte zu konsumieren – egal welcher Art. Ich glaube auch, die Leute sind nicht entspannt gewesen und mussten ja trotzdem arbeiten. Die haben ja nicht gedacht: „Juhuuu, freie Zeit, jetzt kann ich mir den ganzen Tag Hörspiele anhören.“

Das möchte ich noch dreimal unterstreichen: Der Tagesablauf hat sich auch bei uns völlig verändert. Marlene ist ein Kind, das immer schon gut und viel geschlafen hat, das wir in normalen Zeiten zwischen sieben und halb acht haben wecken müssen, um sie für den Kindergarten fertig zu machen. In der Corona-Zeit stand sie um sechs Uhr morgens putzmunter bei uns im Schlafzimmer und erwartete, dass jetzt der Tag beginnt. Das ist die Uhrzeit, zu der wir immer aufstehen, um schon einmal E-Mails zu beantworten und mit dem Tagesgeschäft im Büro anzufangen. Diese eineinhalb Stunden waren dann schon einmal „geklaut“, von einer sehr süßen Diebin. So ging es dann natürlich weiter.

Abends hat sich das dann auch verschoben. Man ist dann von sechs Uhr morgens bis 20 Uhr abends im Einsatz und dann ist man danach durch. Da kannst du nicht mehr so viel kreativ machen oder Sachen abarbeiten.

Marlene geht so ungefähr um halb acht, acht ins Bett und das war in der Corona-Zeit gerade am Anfang, dass Marlene im Bett war und wir beide wirklich fertig mit der Welt waren. Einfach weil man das gar nicht gewöhnt ist, den ganzen Tag ein Kind mit zu unterhalten und sinnvoll in den Tagesablauf zu integrieren. Wir haben großartige Sachen gemacht, sie ist jetzt supergut in der Küche, weil sie mir da wahnsinnig viel geholfen hat, wir haben viel im Garten gemacht, aufgeräumt, kleine Projekte gemacht für Eichhörnchen und Vögel, vor der Haustür eine Bienenweide angelegt und daneben eine Schmetterlingsweide, Saatkartoffeln gesetzt und solche Dinge. Aber tatsächlich ist es im üblichen Tagesablauf so, dass werktags Marlene ins Bett geht und ich dann nochmal für ein paar Stunden im Büro ein paar Dialoge schreibe oder ein bisschen schneide, bevor dann mein Tag zu Ende geht und ich meiner Abendunterhaltung mit Stephan nachgehe. Durch diesen anderen, völlig verrückten Tagesablauf gab es Tage, da bin ich um 20:30 Uhr ins Bett gegangen, weil ich von allem, was man so erlebt hatte, einfach so hundemüde war. Ich hätte da auch gar nicht mehr kreativ sein können. Die Nachrichten, die da auf einen einströmten, haben natürlich auch viel Energie weggezogen. Dann auch die Sorge um ältere Familienmitglieder und ältere Freunde, mit denen wir viel Kontakt über Telefon und so weiter hatten. Das waren alles Energiefresser. Letztlich muss ich sagen, dass diese Lockdown-Zeit, aber auch viel Schönes hatte. Weil wir drei als Familie unglaublich tolle Dinge miteinander gemacht haben, die sonst eben nur so im Urlaub stattfinden, aber die man jetzt wochenlang miteinander geteilt hat. Aber letztlich ist auch viel Arbeit liegengeblieben, dass muss ich ganz ehrlich sagen. Wie der Kindergarten wieder aufgemacht hat, hatten wir die Illusion, dass wir nach ein oder zwei Wochen wieder auf dem Niveau sind, wo wir vorher waren. Aber das konnten wir gepflegt vergessen, weil ja nicht nur bei uns diese Entspannung war, dass man das Kind für ein paar Stunden fremdbetreuen lassen konnte, um wieder richtig was tun zu können, sondern andernorts ja auch. Da wurde einem dann auch viel Arbeit, die liegengeblieben war, erfreulicherweise auf den Schreibtisch geschmissen, sodass man gar nicht mehr hinterher kam. Aber ich denke, jetzt sind wir für diese Zeit des Jahres auf einem guten Level. Es wird auch alles pünktlich erscheinen, was wir angekündigt haben, bis auf drei Ausnahmen.

Was sind denn die drei Ausnahmen?

Generell muss man sagen, dass die Corona-Zeit das Sterben der CD leider immens beschleunigen wird. Das ist ja eh schon ein schleichender Prozess gewesen, der durch diese Geschichte noch einmal sehr forciert wurde. Ich denke auch, dass viele CD-Kunden diese Zeit genutzt haben, um auf das Digitale umzusteigen. Es gab auch gar nicht die Möglichkeit, die CD in den Läden anzubieten, der größte Versandhändler hat es ja auch „boykottiert“. Da läutet das Totenglöckchen noch ein bisschen lauter als zuvor. Ein großes Problem waren deswegen die drei Kindertitel, die wir für den Herbst angekündigt hatten. Zum einen das Titania-Special 16, „Was drei kleine Bären im Wald erlebten“.

Ich kannte das vorher überhaupt nicht. Kann man das der häuslichen Zielgruppe zuschreiben?

Ja, absolut. Da gibt es eine polnischen Puppentrick-Mini-Serie „Die Kuschelbären“, der vom bayrischen Rundfunk mitfinanziert wurde, frühe oder Mitte 80er Jahre. Wunderbar synchronisiert mit ganz tollen Münchner Synchronschauspielern. Inez Günther ist dabei, Monika John, die wir ja sehr lieben, die auch jetzt für die Herbststaffel einige wunderbare Sachen gesprochen hat, Pierre Peters-Arnolds, der Bruder von Philine Peters-Arnolds, Sandra Schwittau und, und, und. Das ist etwas, was Marlene schon seit vielen Jahren guckt, das kann man aber auch mit ganz kleinen Kindern schon schauen. Die entnehmen einen anderen Sinn als sie es jetzt tut, aber das ist unglaublich süß. Da Stephan ja so ein Recherche-König ist, haben wir dann eben geschaut, ob es eine literarische Vorlage gibt: Ja! Ein Kinderbuch aus den 20er Jahren! Es war ein Wunsch, der von Marlene an uns herangetragen wurde, weil sie es gerne mal zum Einschlafen hören wollte. Und da wir ihr ja „Die Eiskönigin“ und „Die Eiskönigin 2“ als Hörspielversion von Titania Medien abschlägig bescheiden mussten… (lacht) sie ist jetzt auch schon gut im Thema drin, was Urheberrechte betrifft, und weiß, dass es noch seeeehr lange dauert, bis diese Rechte frei sind. Insofern kam das mit den Bärchen zustande, und erfreulicherweise hat die Autorin auch noch ein zweites Abenteuer geschrieben – das wäre dann die Folge für das nächste Jahr im Herbst geworden. Da gibt es auch schon ein wunderbares Cover, auf denen die drei Bärchen auf Blättern vom Herbstwind von einer geheimnisvollen Insel weggepustet werden, auf die es sie verschlagen hat. Der ursprüngliche Plan wäre gewesen, das jetzt gemeinsam aufzunehmen und in diesem Jahresrhythmus zu veröffentlichen.

   

Durch diese turbulente Zeit im Handel hat sich, insbesondere für die Kindertitel, die vom Handel schon immer sehr stiefmütterlich behandelt wurden, nochmal ein immenser Abwärtstrend ergeben. Wie wir die Vorbestell-Zahlen von Lübbe bekommen haben, war das so deutlich unter den sonstigen Zahlen, dass wir gesagt haben: Leute, es tut uns wirklich leid, aber das geht gar nicht. Da lohnt sich einfach schon die Erstpressung nicht. Wir haben dann mal drüber geschlafen, ob wir das wenigstens digital machen, auf der anderen Seite laufen die Kindertitel digital einfach am Schlechtesten. Holmes und Gruselkabinett ziehen den Karren da ganz erheblich, aber Kinder sind keine Streaming-Kunden. Das sind die Eltern, die den Stream genießen, die legen jetzt nicht ihr Handy zum Einschlafen neben das Köpfchen des Kindes – was ich auch hoffe, dass sie das nicht tun. In Rücksprache mit Lübbe haben wir dann auch gesagt, wir lassen das diesen Herbst, solange das im Handel auch alles noch im Umbruch ist und man auch nicht weiß, wie lange das noch so sein wird. Das hat leider auch „Grimms Märchen“ Folge eins betroffen, auch die Sammelbox drei von den Titania-Specials. Das waren alles Vorbesteller-Zahlen, die wir noch nie so gesehen haben. Es ist uns auch nicht leichtgefallen zu sagen, dass wir das jetzt lassen, aber es hat einfach keinen Zweck. Im Hintergrund wird aber fleißig weiterproduziert, es gibt mittlerweile schon fünf wunderschöne Cover für die „Grimms Märchen“-Reihe und inklusive Folge drei ist auch schon alles mit aufgenommen. Das geht in Produktion, im Moment ist unser Plan, dass wir Ende September 2021 die „Grimms Märchen“ schon mit mehr als einer Folge starten – vielleicht sind es zwei Folgen, vielleicht aber auch schon drei Folgen, die dann eben mit einem Schlag kommen, um dem Handel nochmal einen Impuls zu geben, sich das vielleicht auch ein bisschen größer hinzustellen, dass sich eine Erstauflage auch einfach für uns lohnt.

Du gehst also schon davon aus, dass es auch auf CD erscheinen wird?

Ganz eigennützig hoffe ich sehr, dass es so sein wird! Für mich – und ich weiß es auch von vielen Interpreten – ist es auch sehr wichtig, sich das Hörspiel ins Regal stellen zu können. Ich fände es sehr traurig, wenn es gar nicht mehr physisch greifbar wäre. Zumal wir auch sehr lange am Layout rumgemacht haben, da bin ich auch rundum zufrieden, wie es jetzt geworden ist. Das möchte ich einfach auch gedruckt sehen und nicht nur am Computer.

War das auch der Grund, warum ihr euch für einen anderen Veröffentlichungsrhythmus entschieden habt? Sonst habt ihr immer staffelweise veröffentlicht, jetzt kommt vom Gruselkabinett jeden Monat eine Folge.

Nein, gar nicht. Wir müssen für den Lübbe-Katalog schon immer ein Jahr vorher festlegen, was und wann etwas kommt. Diese Umstellung des Veröffentlichungsrhythmus ist auch auf das digitale Geschäft zurückzuführen. Das „Gruselkabinett“ ist zum Beispiel im Streaming quasi der „Künstler“. Du kannst im digitalen Vertrieb den Leuten immer nur ein Album unter die Nase halten, das sie sich jetzt bitte anhören sollen. Bis jetzt war es so, dass in zwei Wochen die erste Folge beworben wurde und dann zwei Wochen die andere. Das ist aber mit einem relativ großen Aufwand verbunden. Es bleibt jetzt bei den zwölf Folgen pro Jahr, die kommen nur nicht mehr in sechs Monaten á zwei Folgen, sondern zwölf Monate á eine Folge raus. Das ist für den digitalen Vertrieb viel einfacher zu bewerben. Wir mussten uns letztlich auch für die andere Pressearbeit entscheiden, was der wichtige Titel ist, wo man nochmal versucht, ein Printmedium an Land zu ziehen, wo man Werbung für schaltet und so weiter. Wir hoffen auch, dass es in der Produktion ein bisschen einfacher wird. Der Tontechniker und ich werden ja auch nicht jünger, es ist nicht mehr so einfach, teilweise drei Hörspiele pro Monat fertig zu produzieren. Durch den neuen Zyklus hat sich das jetzt ein wenig entschlackt. Da sind es zwar manchmal zwei, aber es gibt eben auch Monate, in denen man ganz in Ruhe ein Hörspiel macht. Da arbeiten wir dann auch nicht vier Wochen dran, da habe ich dann den Rest den Monats Zeit, ein weiteres Dialogbuch zu schreiben oder eben für andere Dinge. Das ist jetzt ein Ausprobieren, das ist sehr gut angelaufen und es scheint erst einmal als ein gutes System für die Zukunft. Ich denke, für den Endkunden ist es auch eine schöne Sache, weil diese drei Monate nicht mehr gibt, wo mal nichts erschienen ist.

Eine traurige Geschichte: Dagmar von Kurmin ist gestorben. Wobei wird sie euch am meisten fehlen?

Dagmar von Kurmin ist einfach die erste Schauspielerin für uns gewesen, mit der wir Kontakt hatten und die ja auch ohne es zu wissen die Initialzündung gegeben hat, überhaupt in diesem Bereich tätig zu werden. Sie hat uns von Anfang an wahnsinnig unterstützt, diesen Weg zu gehen, hat ihr Fachwissen aus ihrer großen Schallplattenzeit nie aufgedrängt, war aber immer ansprechbar, wenn wir etwas wissen wollten. Da wir ja schon immer einen klassischen Weg einschlagen wollten und uns eine sehr klassische Ästhetik vorschwebte, hat sich das einfach ganz toll gefügt, dass wir sie an unserer Seite wussten. Das ist ein Riesen-Sack an Erinnerungen, der da über die Jahre zusammengekommen ist. Wir haben uns 2002 kennengelernt und seitdem ist das eine sehr intensive Beziehung gewesen. Wir haben uns hinterher nicht mehr so häufig gesehen, weil wir räumlich eineinhalb Stunden auseinander gewohnt haben, mit einem Kind ist man da nicht mehr so flexibel. Wir haben uns aber telefonisch oft gehört, sie hat den Kontakt auch immer ganz lieb gehalten. Sonntags rief sie immer gerne an, wenn bei ihr dunkle Stunden waren. Sie hat ihren Mann wahnsinnig vermisst, der schon vor sieben Jahren gegangen ist. Die Sonntage waren für sie immer die furchtbarsten Tage, weil dann alle Geschäfte geschlossen waren, jeder mit seiner Familie beschäftigt war und sie auf ihre Einsamkeit zurückgeworfen war.

                                                         

Und sie wird uns natürlich auch wahnsinnig bei der Besetzung fehlen. Das ist ein so breit gestreutes Repertoire, was sie anbieten konnte. Von sympathischen, bitterbösen Charakteren, auch altersmäßig so flexibel, das ist unersetzlich. Auch diese immense Erfahrung in der Mikrofonarbeit, dieses ganz feine Zeichnen von Ausdrucksnuancen innerhalb eines Satzes. Sie hatte ja ein System, hat sich immer kryptische Zeichen über ihre Sätze gemacht, das hätte ich nie im Leben gleichzeitig mit dem Text verarbeiten können. Aber ihr hat das sehr geholfen, die Betonungen direkt beim ersten Mal souverän zu treffen. Das wird einfach eine Lücke reißen. Und es waren ja jetzt auch Aufnahmen geplant, wir haben drei Rollen für sie geschrieben, die jetzt anderweitig besetzt werden mussten. Ich muss ehrlicherweise bekennen, dass diese Aufgaben sehr gut erledigt wurden, aber das war für mich ein sehr schwerer Aufnahmetag. Ich habe im Falle von Dagmar von Kurmin – wie für viele andere Sprecher, mit denen wir häufiger arbeiten – immer schon beim Schreiben gehört, wie sie das sagen würde. Oder ich lege es ihr beim Texten auch in den Mund. Diese Dialogzeilen von jemand anderem zu hören, der die Bögen natürlich auch ganz anders spinnt, war nicht einfach. Aber da musste ich jetzt einmal durch, das war die Hauptsache, aber das war wirklich sehr anstrengend. Nicht wegen der Schauspielerin, sie hat das sehr gut gemacht, sie kann ja auch gar nichts dafür, sondern weil ich das einfach anders im Ohr hatte. Ich habe vor den Aufnahmen auch zu mir gesagt, dass ich eine Sache auf gar keinen Fall machen darf, nämlich die neue Schauspielerin dahin zu leiten, dass sie eine Dagmar von Kurmin-Interpretation macht. Das wäre ja auch so jemandem gegenüber nicht fair. Die Aufnahmen sind aber wirklich schön geworden und auf der anderen Seite sicherlich auch von Dagi abgenickt worden, dass es so in Ordnung ist. Man muss für diese Art der Hinterlassenschaft wirklich sehr dankbar sein. Und Dagmar von Kurmin hat ja wirklich durch ihre ganze Karriere hindurch mit einer dreißigjährigen Pause, aus der wir sie dann ja herausgeholt haben, so unfassbar viel Material hinterlassen, was immer noch zu hören oder zu sehen ist. Und auch wenn es im Moment vielleicht ein bisschen piekt, ist es doch etwas sehr Schönes, dass man sich so daran erfreuen kann, dass doch etwas bleibt. Sie hatte so viel zu geben, gerade in speziellen Rollen: Marilla Cuthbert in der Anne-Serie war für sie einfach ganz weit oben, weil sie da so viele emotionale Momente zu spielen hatte und natürlich anders aus ihrer Seele schöpfen konnte als das in Rollen, die ein wenig eindimensionaler waren, möglich gewesen ist.

Marilla hat in der Zeit ja eine deutliche Entwicklung mitgemacht, von der Marilla, die Anne eigentlich gar nicht wollte, und am Ende hat sie sie ja sehr geliebt. Hören wir denn Dagmar von Kurmin noch einmal in kommenden Produktionen?

Sie hat ja erfreulicherweise im Sommer 2019, als wir die letzten Aufnahmen mit ihr gemacht haben, noch die Frau Holle für „Grimms Märchen“ gesprochen. Das war natürlich grandios, in diesen Märchen ist das genau ihre Rolle gewesen, wo sie noch einmal genau das bedienen konnte: dieses sehr Liebevolle und Großzügige der Goldmarie gegenüber und dieses Strengere und nicht ganz so Großzügige zur Pechmarie. Was sie dann da am Schluss sagt: „Das ist die Belohnung deiner Dienste“ als das Pech runtergeschüttet wird, wird dann im September 2021 das letzte sein, was man von Dagmar von Kurmin bei uns hören wird.

Besonders traurig stimmt mich, dass wir bei den anstehenden Aufnahmen das lange Aufgeschobene vorhatten, nämlich einen von ihren Gedichtabenden für die Nachwelt festzuhalten. Sie hat sich in den letzten Jahren noch sehr engagiert, indem sie in einem sehr großen Radius herumgereist ist und in Seniorenresidenzen Gedichtabende gehalten hat. Das muss man sich so vorstellen, dass Dagmar von Kurmin vor den Herrschaften steht, ohne Text, kein Notenpult, keine sonstigen Hilfsmittel, kein Buch in der Hand und eine Stunde lang die längsten und kompliziertesten Balladen von Fontane, von Schiller, von Goethe, von Eichendorff – ich will gar nicht sagen rezitiert hat, das trifft es überhaupt nicht. Wir sind zwei oder dreimal dabei gewesen, das ist unbeschreiblich gewesen, was sie da gemacht hat. Sie hat diese Gedichte und Balladen aufgeführt, in verteilten Rollen und komplett auswendig. Danach gab es eine Pause und dann hat sie noch einmal eine Stunde gedrechselte Sprache rezitiert. Es war jetzt schon länger die Idee von Stephan, dann wurde dieser Wunsch auch von der Stieftochter von Dagi an uns herangetragen, dass man das doch auch mal für die Nachwelt sichern müsste. Natürlich hätte man sie dabei auch sehen müssen, weil das auch mimisch und gestisch so großartig war, aber zumindest hätte man das Audio mal gehabt. Das war sehr besonders, wie sie diese Texte zu gestalten wusste. Naja, wir haben es zugegeben jetzt zu lange vor uns hergeschoben, aber letztes Jahr ging es ihr schon gesundheitlich nicht gut. Es wäre außerhalb ihrer Möglichkeiten gewesen, da noch eine Stunde lang Gedichte vorzutragen. Und in den Jahren vorher war wieder etwas anderes, weswegen wir es nicht aufgenommen haben. Ganz ehrlicherweise muss man sagen, dass es jetzt eben zu spät ist. Wie so viele Dinge – Oper, Theater, Livemusik – ist das eine sehr flüchtige Kunst, die im Augenblick lebt und dann weg ist. Dann hat der Zuschauer den Eindruck und die Erinnerung, aber man hat nichts, was man festhalten kann. Und so ist es damit nun leider auch. Denn diese Art der Rhetorik und emotionaler Textbehandlung stirbt leider langsam aus. Da bin ich sehr traurig, dass wir, was die Balladen betrifft, nichts für die Nachwelt sichern konnten. Aber man findet im Internet einiges, begeisterte Reaktionen von Heimleitern, Fotos und diverses anderes, wie sie dasteht und vorträgt. Sie hat uns immer schwärmerisch berichtet, wie unglaublich erfüllend diese Art von Arbeit für sie gewesen ist, weil die Senioren so glücklich gewesen seien. Das ist ja eine Generation, die diese Gedichte noch in der Schule auswendig lernen musste. Zum Schluss hat sie quasi als Zugabe die ganz großen Klassiker, „Die Glocke“ zum Beispiel, auch interaktiv mit dem Publikum gemacht. Dafür wurde sie immer wieder angefragt und ist hunderte von Kilometern gefahren, um sich dahinzustellen. Dazu muss man sagen: Sie ist ja kurz vor ihrem 87. Geburtstag gestorben, insofern kann man sagen, dass sie als Vortragende durchaus älter war als manche Seniorin oder mancher Senior, der da im Publikum gesessen hat. Das hat sie tatsächlich gemacht, bis der Lockdown kam. Das hat für sie auch bedeutet, dass elf Altenheimtermine abgesagt wurden und es auch keinerlei Perspektive gegeben hat, dass sie auf lange, lange, lange Zeit irgendwo hätte auftreten können, weil die Altenheime für Publikumsverkehr jeder Art geschlossen wurden. Das war für Dagmar von Kurmin natürlich auch eine bittere Pille, weil ihr da plötzlich mit einem Schlag auch das Publikum abhandengekommen ist.

Eine große Dame, auf jeden Fall.

Sie hat sicherlich jetzt ihren Frieden gefunden und ihren unglaublich geliebten Mann wiedergefunden. Wir stellen uns einfach vor, dass die beiden irgendwo jetzt aus einer anderen Ebene ein bisschen auf uns alle aufpassen. Und sicherlich auch mit einem milden Lächeln verfolgen, wie das wohl weitergeht. Einen größeren Fan als Dagmar von Kurmin haben wir für unsere Hörspielarbeit, glaube ich, nie gehabt. Sie hat für uns immer so unfassbar viel Werbung gemacht und so begeistert immer allen Leuten erzählt, die es hören oder auch nicht hören wollten, was sie bei uns gemacht hat. Sie hatte in der Handtasche auch immer CDs dabei, die dann unters Volk gebracht wurden. Da hat manch einer den Weg zum Medium generell gefunden und auch den Weg eben zu uns gefunden. Da können wir einfach nur dankbar sein für diese menschliche und künstlerische Komponente, und es gibt einen reichen Anekdotenschatz rund um unser Zusammensein mit Dagmar von Kurmin. Und nach dem allerersten Schock, und das möchte ich doch noch kurz erzählen, damit es nicht arg zu traurig ist, haben wir auch angefangen, dass wir uns an diesen Erinnerungen gelabt haben, die teilweise unfassbar lustig sind. Eine Episode nur: Wir hatten zwei Tage hintereinander Aufnahmen für die „Anne“-Serie in Wuppertal. An dem Samstag hatte Dagmar von Kurmin eine unglaublich gestärkte Bluse an, die Carsten für den Ton und mich für die Regie wirklich in den Wahnsinn getrieben hat. Sie konnte gar nichts dafür, aber bei jeder noch so kleinen Bewegung raschelte diese Bluse. Das war tatsächlich etwas, das neu für sie war. Man muss dazu sagen, dass sicherlich im Jahr 1971 die Mikrofone auch nicht ganz so empfindlich wie heute waren. Aber das war schwierig für alle Beteiligten, letztlich konzentriert man sich dann nur noch auf diese Nebengeräusche und der Interpret konzentriert sich darauf, keine solche Nebengeräusche zu machen. Und dann gerät die Interpretation gerne mal aus den Fugen. Insofern war das für alle Beteiligten nicht schön. Am nächsten Tag stieg Dagmar von Kurmin aus dem Auto und hatte einen hellblauen Frottee-Trainingsanzug für Senioren an, mit Reißverschluss und so weiter. Sie sprang aus dem Auto und rief über den Parkplatz hinweg: „Da wird überhaupt nichts mehr rascheln! Ich habe meinen ganzen Kleiderschrank durchgeguckt und wir haben alles ausprobiert, Henning und ich, und hier hört man gar nichts. Das ist Frottee!“ Und dem war auch so. Wie ich mit Carsten telefoniert und gesagt habe, dass wir Dagi nicht mehr aufnehmen werden, hat er auch gesagt, sie wird ihm auch in diesem hellblauen Frottee-Trainingsanzug mit Reißverschluss, den sie knitter- und knisterfrei für die „Anne“-Aufnahmen als Marilla Cuthbert getragen hat, in Erinnerung bleiben.

Im letzten Jahr habt ihr „Krabat“ umgesetzt, das war schon lange ein Wunsch von euch und ihr habt lange nach einer Version gesucht, die infrage kam. Warum sollte sich denn der Hörer für eure Umsetzung entscheiden anstatt für das klassische Otfried Preußler-Hörspiel des WDR, das ja auch sehr gut geworden ist.

Das finde ich im Übrigen auch – und ich bin da sehr kritisch, weil ich den „Krabat“ von Otfried Preußler als Jugendlicher wirklich so in mich aufgesogen habe und diese Zeichentrickversion auch so unglaublich toll fand, auch wenn mir das als Kind alles wahnsinnige Angst gemacht hat. Tatsächlich begleitet mich dieser Stoff schon so viele Jahrzehnte und die WDR-Version da war ich auch sehr gespannt drauf, aber habe da ehrlich gesagt auch nicht allzu viel erwartet, nachdem ich an Preußler-Vertonungen nicht immer alles so geglückt gefunden habe, was der WDR gemacht hat. Den „Hotzenplotz“ fand ich zum Beispiel grandios mit dieser bayrischen Schremmel-Humtata-Musik und Michael Mendl – eine sehr schöne Umsetzung und auch sehr nahe an der Vorlage. Aber mit der „kleinen Hexe“ zum Beispiel hatte ich in der WDR-Version wahnsinnige Probleme. Da bin ich aber wahrscheinlich auch zu geprägt durch die Schallplattenversion aus den 70er Jahren mit Brigitte Kösters als kleine Hexe und einem unglaublich guten Raben Abraxas. So sehr ich Jens Wawrczeck auch liebe und so gern ich ihn höre, aber das hat für mich in dieser Kombination leider überhaupt nicht funktioniert, da war ich sehr enttäuscht und habe gedacht, dass sie mir jetzt wahrscheinlich auch noch den „Krabat“ verhunzen. Aber ich fand es auch gut. Letztlich ist die Geschichte aber so, dass wir ja beim Thienemann-Verlag angefragt haben, um diese Vertonung zu machen, man uns da relativ unfreundlich mit dem Hinweis abgewiesen hat, dass sie ja für Preußler-Titel sowieso nur mit öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zusammenarbeiten. Es dauerte ein Jahr und der WDR hat es angekündigt! Man kann also davon ausgehen, dass man die WDR-Version eigentlich Titania Medien zu verdanken hat. Denn der Verlag wird mit Sicherheit sofort an den WDR herangetreten sein und gesagt haben, ob sie da nicht eine Version machen möchten und man es andernfalls an jemand anderes verkaufen könne, die sich darum gekümmert haben. Nun denn. Ich hätte es sehr gerne gemacht, aber was nicht ist, das ist nicht – was hilft es, über vergossene Milch zu klagen.

Wir haben eigentlich alles gelesen, was es zu dem „Krabat“-Stoff gibt, es gibt ja auch eine böhmische Version, die auch als DDR-Verfilmung existiert, das heißt glaube ich „Die schwarze Mühle“. Da habe ich auch die literarische Vorlage geprüft, aber das war es für uns leider nicht. Stephan hat dann als Recherche-König die Quellen von Preußler aufgespürt und dieses „Sagenbuch des Königreichs Sachsen“ besorgt, das ist ein dicker Schinken, also bestimmt zwölf Zentimeter dick, auch nicht leicht zu bekommen. Da konnten wir das erste Mal diese ursprüngliche Fassung anschauen. Und das ist das, was Preußler auch als Ausgangspunkt für seinen Roman genommen hat. Das fand ich als Literaturwissenschaftler sehr spannend, da jetzt mit dieser sehr guten Kenntnis des Preußler-Textes noch einmal auf die Quelle zurückzugehen. Diese Quelle birgt dann auch Dinge, die er selbst nicht verwendet hat – da gibt es auch sicherlich gute Gründe, warum er das nicht getan hat – die ich aber doch erzählenswert fand. Das ist, was ich dem Hörer sagen würde: Es schadet überhaupt nicht, wenn man den Preußlerschen „Krabat“ schon kennt, das ist ein grandioses Werk und ich finde, das ist überhaupt das allerbeste, was Otfried Preußler je geschrieben hat, das ist so auf den Punkt gebracht und er hat auch viel autobiografisches reingepackt und ich denke, deswegen ist dieses Buch auch so besonders gut geworden. Ich finde es aber sehr aufregend, dass wir jetzt mal diese ursprüngliche Quelle zeigen konnten, dass es im Original zum Beispiel eben nicht die Liebesgeschichte mit dem jungen Mädchen ist, die zur Erlösung führt, sondern dass es da über die Mutter funktioniert. Auch die Abenteuer mit August dem Starken erfahren noch einmal eine ganz andere Gewichtung. Was mir in der Realverfilmung gefehlt hat, dass dem Verhältnis zwischen Krabat und dem anderen Mahlgesellen etwas mehr Raum gegeben würde, das habe dann jetzt eben ich gemacht.

Ihr habt im letzten Jahr auch – für das Gruselkabinett untypisch – „Das kalte Herz“ gemacht, welches eigentlich ein Märchen ist und deswegen am Ende vielleicht besser in die Special-Reihe gepasst hätte. Es ist ja auch recht lang geworden, es ist erst die zweite Episode, die auf zwei CDs in einer Hülle spielt. Wann hat sich herausgestellt, dass es so lang werden würde?

Stimmt, das ist nach dem „Schimmelreiter“ das zweite Mal, dass wir diesen Joker ziehen mussten. Tatsächlich ist dieser Wilhelm Hauff-Text so unglaublich gut, dass es schwer gewesen ist, ihn so drastisch runter zu kürzen, wie es hätte sein müssen, damit es ganz sicher auf eine CD gepasst hätte. Ich habe es so gemacht, wie ich gedacht habe, dass es vielleicht gerade so passen könnte und habe es dann Stephan und Dr. Daniela Stöger zum Korrekturlesen gegeben, wie es der übliche Ablauf ist. Ich habe beiden auch gesagt, dass es von der Wörteranzahl in so einem Grenzbereich ist, wo ich nicht hundertprozentig garantieren kann, dass es auf eine CD passt. Das kommt auch immer darauf an, wie das Tempo der Schauspieler ist, es lässt sich nicht hundertprozentig sagen. Die beiden haben Korrektur gelesen und unabhängig voneinander gesagt, dass wir dieses Risiko eingehen sollten, weil es eine runde Sache ist, so wie es ist, und auch sie nicht wussten, was man jetzt davon noch weglassen sollte. Das war auch genau mein Problem, ich wusste nicht, was ich da hätte streichen sollen, um es garantiert passend zu machen. Da wir aber immer schon ein Jahr im Voraus die Titel abgeben, war es definitiv zu spät, um noch eine Änderung zu veranlassen, dass man noch eine Schuberausgabe daraus hätte machen können. Wir sind dann mit dem Manuskript in die Aufnahme gegangen, so wie es war, und beim Schneiden habe ich dann gemerkt, dass es eben nicht passt. Ich mache es sowieso, wenn ich beim Schneiden merke, dass mir Sachen entbehrlich vorkommen oder die nicht so hundertprozentig getroffen sind, dass die dann weggelassen werden. Alte Theaterregel: Was gestrichen ist, kann nicht durchfallen! Das gilt auch beim Hörspiel: was der Hörer nicht hört und was leicht beschädigt ist, kann keinen faden Nachgeschmack hinterlassen. Es reichte aber nicht, und letztlich haben wir gesagt: Das ist doch alles Quatsch, da nehmen wir einen Euro mehr wie beim Schimmelreiter und machen da eine einigermaßen bezahlbare Lösung mit dieser „Dünnen Doppelten“. So heißt die Verpackung im Presswerk.

Was die Sache betrifft, ob es nicht besser in der Märchenreihe aufgehoben wäre: Ich glaube, Herr Hauff wäre nicht so glücklich, wenn man das jetzt nur unter Märchen laufen lassen würde. Ich weiß auch gar nicht, ob es bei ihm als solches etikettiert ist. Er hat diese Märchen als Almanach geschrieben, das sind durchlaufende Romane, wo dann immer so Erzählsituationen geschaffen werden, in der sich die Figuren Geschichten erzählen. „Das Wirtshaus im Spessart“ ist, glaube ich, eine der Rahmenhandlungen, wo dann andere Märchen eingelegt sind, als sie sich verschanzt haben und auf die Räuber warten. „Das kalte Herz“ ist eben auch eine dieser Geschichten, die in mehreren Abteilungen erzählt werden. Ich empfinde es auch gar nicht so als Märchen, für mich ist das, was Wilhelm Hauff gemacht hat, sehr von der schwarzen deutschen Romantik geprägt. Und da es sich in dieser Geschichte auch um eine Art „Teufelspakt“ handelt und um einen ganz extremen Konflikt, wo jemand übernatürlichen Mächten ausgeliefert ist, die an ihm zerren, finde ich das im Gruselkabinett eine gute Sache – nach wie vor. Es hat einfach so eine Dimension, die sich erst erschließt, wenn man es als eine etwas erwachsenere Version präsentiert, was mit dem Peter so alles passiert. Wir mussten dann natürlich auch nicht die Samthandschuhe anziehen, was die Brutalität der Geschichte angeht, weil es eben für das Gruselkabinett gemacht war. Ich bin ganz glücklich mit der Besetzung dieser Produktion, das war nämlich die zweite Sache, die über Stephan und Daniela auf mich zukam – weil alle wissen wollten, wer das eigentlich spielen soll. Dieser Peter Munk ist eine so schwierige Rolle, weil er ja einerseits sympathisch sein muss, damit die Hörer mit ihm mitfiebern, es muss aber auch jemand sein, der in dieser Situation, wenn er das kalte Herz hat, gnadenlos unsympathisch herüberkommen soll und auch ein Hassobjekt sein kann. Das war wirklich ein Besetzungsproblem. Der Zufall ist oft der beste Regisseur, und da frage ich mich auch immer, wer da auf einer anderen Ebene noch Regie führt. Stephan war unterwegs und ich habe einen freien Abend für mich allein gehabt und schaute mal in dem Regal von bisher ungesehenen DVDs, was ich allein schauen könnte, was Stephan jetzt nicht so brennend interessiert. Und da stand eine relativ aktuelle Verfilmung des Lebens von Charles Dickens, heute sagt man ja Biopic. Die Hauptrolle spielte Dan Stevens und der wurde in Hamburg von einem Schauspieler synchronisiert, von dem ich zuvor noch nie etwas gehört habe: Jonas Minthe. Er hat das so unglaublich gut gemacht, diese emotionalen Szenen, dass ich, als Stephan nach Hause kam, sagte: Das Besetzungsproblem ist gelöst, du musst ihn nur noch ausfindig machen und anwerben! Wie man gehört hat, hat es erfreulicherweise funktioniert und Jonas Minthe hat diese Rolle erwartungsgemäß super gemacht, es war ein großes Vergnügen, das mit ihm aufzunehmen. Für das Glasmännlein (Gudo Hoegel) und den Holländer-Michel (Uli Krohm) sind ja auch so großartige Schauspieler ins Studio gekommen, so dass ich wirklich selig war. Dass Reinhilt Schneider nach knapp 50 Jahren jetzt nochmal die Lisbeth gesprochen hat, fand ich zudem eine großartige Leistung.

Also werden wir Jonas Minthe noch häufiger hören im Gruselkabinett?

Also, das kann ich nur hoffen. Mit Kusshand. Er ist wirklich jemand der jüngeren Schauspielergeneration, von denen wir alle bestimmt noch viel sehen und hören werden. Er dreht viel und spielt ja auch viel Theater – und das hört man eben. Das ist jemand, der in allen Bereichen der Schauspielkunst unterwegs ist und entsprechend umfassend und sehr gut ausgebildet ist.

Es gab noch ein längeres Hörspiel von euch: „Mayerling“. Das ist mit Abstand die längste Folge aus der Sherlock Holmes-Reihe und wurde von dir selbst geschrieben. Woher kam die Inspiration der Geschichte, weil sie ja sehr detailgetreu ist und ins historische Wien hereingeschrieben. Wie lange hast du an dem Skript gesessen?

Ja, das war eine sehr schöne Aufgabe, der ich mich stellen durfte. Die „Mayerling“-Geschichte begleitet mich auch schon viele Jahrzehnte. Ich habe im Alter von zwölf Jahren begonnen, mich sehr für Ludwig II. zu interessieren. Auf diesem Weg bin ich dann zu der Beschäftigung mit der historischen Elisabeth von Österreich gekommen, darüber dann schnell auf die tragische Geschichte ihres Sohnes Rudolf und seinem Selbstmord im Mayerling, dem die Tötung auf Verlangen seiner 17-jährigen Geliebten vorausgegangen ist. Das hat mich seitdem nie wieder losgelassen – und es ist über 30 Jahre her. Ich bin dann auch ein paar Jahre später das erste Mal in Mayerling gewesen, als wir in Wien Verwandte besucht haben und habe danach auch immer die Neuerscheinungen zu diesem Thema gelesen. Vor ungefähr zwei Jahren habe ich meine sehr reichhaltige Bibliothek über diesen ganzen Komplex und diese Figuren nochmal aufgestockt, weil mir doch erstaunlicherweise noch essenzielle Bände gefehlt haben. Beim Mittagessen habe ich dann immer gerne erzählt, was ich alles Neues herausgefunden habe und Stephan sagte dann irgendwann einmal: „Können Holmes und Watson nicht mal Urlaub in Wien machen und in dieser Sache recherchieren. Es ist ja sehr schön, was du da alles weißt, aber können wir das nicht irgendwie nutzbar machen? Es wäre doch toll, den Hörer auf den neuesten Stand der Forschung zu bringen.“ Das habe ich erst einmal weit von mir gewiesen, weil mir in dem Moment völlig die Fantasie gefehlt hat, warum Holmes und Watson auf einmal im Wien der Kaiserzeit auftauchen sollten, obwohl es zeitlich natürlich gut in das Universum, wie wir es aufgebaut haben, gepasst hat. Und auch ansonsten sind die Lebensdaten von Holmes und Watson ja recherchierbar und von Conan Doyle vorgezeichnet. Letztlich kam ich über eine Episode, dass Kaiserin Elisabeth auf einer Jagd in England gewesen ist, auf den Trichter, dass man doch theoretisch einen Anknüpfungspunkt hätte, weil Holmes natürlich auch in der hohen Gesellschaft verkehrt hat. Warum sollten die beiden sich also nicht bei diesem Event zufällig über den Weg gelaufen sein? In der Literatur stellte sich dann noch erfreulicherweise heraus, dass die Gräfin Larisch auch anwesend gewesen ist, die in der Mayerling-Geschichte üblicherweise die Intrigantenrolle bekleidet, ebenso wie die Mutter des Opfers, Helene Vetsera. Dann habe ich weiter recherchiert und es stellte sich heraus, dass die Mutter von Mary Vetsera mit ihren Schwestern Aufführungen von Wagners „Der Ring des Nibelungen“ in der Hofoper besucht hat und diese freien Abende von der Mary genutzt worden sind, um sich heimlich mit dem Kronprinzen zu treffen. Da hat es bei mir dann einfach dramaturgisch „Klick“ gemacht, weil ich mir gedacht habe: Ja, das passt! Und Holmes, der ja auch so gut Geige zu spielen vermag, ist sicherlich sehr neugierig gewesen, Wagners „Ring“ mal an einem ersten Opernhaus zu erleben. Das war relativ neu, 1876 ist ja die Uraufführung in Bayreuth gewesen, wir sind im Dezember 1888 – das ist zu dieser Zeit wirklich moderne Kunst gewesen. Warum sollten die beiden also deswegen nicht dorthin gereist sein?

Da hatte ich dann das, was mir vorher gefehlt hatte und dann war es, wie so oft: Auf einmal ergab eines das nächste und die Geschichte rollte plötzlich vor meinem inneren Auge ab. Ich habe dann noch einmal einige Zeit verbracht, die Literatur so zu sichten, dass ich letztlich nur noch das hatte, was ich auch mit reinnehmen wollte. Die Essenz sozusagen. Die Geschichte hätte noch viel mehr geboten. Ich hätte zum Beispiel sehr gerne noch etwas über die Kronprinzessin gemacht, Stephanie, die Frau von Rudolf. Das hätte leider den Rahmen gesprengt, aber sie war auch eine hochspannende Figur, aber das ist hinten runtergefallen. Ich bin dann wie so oft in unser Lieblingshotel in den Spessart, das Hotel Lamm im Heimbuchental gefahren und habe mir da eine Woche Zeit genommen, das Manuskript zu schreiben. Ich habe dann allerdings nochmal drei Tage verlängern müssen, weil es eben doch sehr umfangreich war. Nach den zehn Tagen war ich aber fertig, weil es eine hoch konzentrierte Arbeit war, da hatte ich mit Kinderbetreuung oder Tagesgeschäft nichts zu tun, sondern konnte mich morgens nach dem Frühstück direkt da ransetzen und es runterschreiben, weil es in meiner geistigen Vorstellung sowieso fertig war. Es hat mich sehr gefreut, dass es dazu wahnsinnig viel Lob von Menschen gab, die sich historisch mit der ganzen Sache auch sehr gut auskennen und mir viel Anerkennung gezollt haben, dass es sehr akkurat aufgearbeitet war. Abgesehen von Holmes und Watson ist es nämlich relativ genau so gewesen. Das war ja auch das, was ich gerne machen wollte, dass man ein bisschen der Mary und auch der Gräfin Larisch die Gerechtigkeit wiederfahren lässt. Das sind die beiden, die die eigentlichen Opfer dieser ganzen Geschichte waren. So, wie wir es dargestellt haben, habe ich es auch empfunden. Kornprinz Rudolf ist da einfach sehr egoistisch seinen Weg ohne Rücksicht auf Verluste gegangen. Die Zeche haben andere bezahlt. Das finde ich auch nach wie vor erzählenswert.

Das ist ein wirklich gelungenes Hörspiel geworden – auch für Leute, die sich in der Materie jetzt nicht so gut auskennen.

Das war auch der Ansporn, dass man diejenigen, die nicht im Thema sind, mit ins Boot holt und es auch für sie interessant hält. Weil es so eine düstere Geschichte mit einem auch so schrecklichen Ende ist, war es auch wichtig, dass ein Gegenpol geschaffen wurde. Dadurch gab es dann eben ein Wiederhören mit Mrs. Hudson und ihrer Cousine, die wir ja wirklich sehr ins Herz geschlossen haben. Die beiden haben dann ja immer dem Comedy-Part übernehmen müssen, wenn es gerade Bedarf gab. Und da gab es immensen Bedarf, weil ich da im Vorfeld schon meinen beiden Korrekteuren gesagt habe, dass ich es nicht zu düster und melancholisch oder fast depressiv mache, weil es mich selbst auch so runtergezogen hat. Es war ja auch eine Schlechtwetterphase, Ende Jänner, wie der Wiener sagt, unglaublich stürmisch und viel Schnee, unglaublich kalt, eine richtige Endzeitstimmung. Das ist ein historisches Zitat: Man hatte das Gefühl, die Hofburg bricht zusammen, weil der Sturm so an die Fenster gerüttelt und gepresst hat. Das haben ja auch hinterher viele gedacht, dass das Unheil, das sich da in Mayerling zusammengebraut hat, aus dieser Weltuntergangsatmosphäre entstanden ist. Das hat mich auch sehr erfasst. Ich wollte aber nicht, dass es die ganze Zeit auf diesem Gefühlslevel stattfindet, weil ich das für den Hörer auch auf die Dauer zu strapaziös gefunden hätte. Deswegen war es richtig, dass zwischendurch die Tür aufgeht und Margery mit ihrer Tanzkarte und ihrem Ballkleid hereinkommt und die Ironie der beiden Herren auch wirklich nie versteht. Das sind einfach die Dinge gewesen, die es aufgelockert haben.

Letztlich waren es also nur dreißig Jahre Vorbereitung, dann habe ich es noch zweimal durchkorrigiert, wie ich es meistens tue und dann habe ich gedacht, dass ich zu dem Thema mit dem aktuellen Wissensstand eigentlich nicht mehr sagen kann und will. Da kamen dann von meinen beiden Korrekteuren sehr viel Zustimmung und sehr viel Begeisterung für die Art und Weise, wie es präsentiert war. Und das war das, was auch die Schauspieler unaufgefordert alle sofort gesagt haben. Das war super, sie kamen ins Studio und jeder hatte so umfassend seine Hausaufgaben gemacht, wie sie die historischen Figuren zu sprechen hatten und hatten so viel gelesen und sich Fotos angeschaut, sich bemüht einzufühlen, wie sich die historische Figur wohl ungefähr angehört hat. Das ist ein sehr schönes Projekt gewesen.

Man hört heraus, dass du sehr zufrieden bist.

Ja, und die Sachen mit Herzblut produziert, sind dann am Ende auch die, die am rundesten sind. Für manche Dinge brennt man schon mehr als für andere, da gibt es ja noch eine Abstufung. Und das war jetzt ziemlich weit oben. Insofern freue ich mich auf ein Wiederhören, wie es im Hörspiel ja auch angedeutet wurde – der aufmerksame Hörer wird es gehört haben, dass sich Holmes und die Kaiserin ja auch zwischen diesem Erlebnis in England und dem in Mayerling über den Weg gelaufen sind, nämlich zur Zeit des Todes Ludwig II. im Starnberger See. Das wird auch eine Doppelfolge werden, und dafür recherchiere ich jetzt auch schon 34 Jahre. Und da gibt es auch schon ein wunderbares Cover für, das kommt dann noch irgendwann in der Holmes-Reihe mit einem Wiederhören mit einigen Figuren, die in dieser Folge vorgekommen sind. Dann sind wir mal gespannt, zu welchem Ergebnis Holmes kommen wird, wie Ludwig II. nun wirklich zu Tode gekommen ist.

Wo wollt ihr denn mit der Holmes-Serie hin? Wird es wieder mehr Klassiker geben, schreibst du noch mehr neue Fälle oder transportiert ihr Holmes weiter in Geschichten von anderen Autoren?

Es wird eine Mischung. Allerdings eher keine klassischen Geschichten mehr.

Warum nicht?

Da muss ich ganz ehrlich sagen, dass es an den Verkaufszahlen liegt. Wir haben gemerkt, dass die ersten selbstgeschriebenen neuen Fälle von Marc exorbitant gut gelaufen sind, damals sogar fast besser als das „Gruselkabinett“. Das ist so ein bisschen eingebrochen, als wir die klassischen Fälle gemacht haben. Da gibt es auch andere Mitbewerberlabel, die das schon gemacht haben. Wir konzentrieren uns jetzt eben auf Fälle, die Holmes und Watson noch nicht erlebt haben.

Wir haben es am Anfang schon erwähnt, ihr setzt jetzt Grimms Märchen um. Welchen Anlass gab es für euch zu sagen, dass ihr euch diesen klassischen Märchen widmet. Und was wollt ihr dabei anders machen? Auf eurer Homepage steht, dass ihr nahe am Original bleiben wollt. Ihr kennt wahrscheinlich viele andere Märchenumsetzungen, wird es sich davon viel unterscheiden?

Nein, ich glaube, inhaltlich wird sich natürlich nicht viel unterscheiden. Mit diesen Ankündigungstexten ist es immer so eine Sache. Da stand auch „kindgerecht“, das hat der eine oder andere zum Anlass genommen zu denken, dass es entschärft würde, dass die Hexe nicht mehr verbrannt wird oder sonstige andere Dinge – also dem ist nicht so. Wir haben ein Anschauungsobjekt im eigenen Haus – und ich weiß es natürlich auch aus eigener Erfahrung: Es sind natürlich diese brutalen Momente, die Kinder besonders lieben. Es ist ein fatal falscher Ansatz der 70er Jahre-Pädagogik zu sagen, dass man das nicht machen darf, dass man das den Kindern ersparen muss. Das ist meiner Meinung nach völliger Quatsch. Ich musste selbst mal in einer Bühnenversion von „Hänsel und Gretel“ mitwirken, wo dann die Hexe in einem Zauberbackofen zu einer guten Frau namens Trude verwandelt wurde. Es war mir ein solches Graus, dass das tatsächlich die Initialzündung gewesen ist, mich selbst hinzusetzen und zu schreiben. Da habe ich dann im zarten Alter von 15 Jahren mein erstes Weihnachtsmärchen auf der Schreibmaschine getippt, richtig mit Farbband und ohne große Korrekturmöglichkeiten damals noch, die wir ja jetzt am Computer haben. Da gab es noch nicht einmal diese Tip-Ex-Geschichten und man musste noch richtig auf die Tasten draufhauen, damit das einen entsprechenden Kontrast hatte. Da habe ich im Prinzip mein erstes Dialogbuch geschrieben, auch wenn es ein Theaterstück war. Weil ich mich so geärgert habe über diese verhunzte Version von „Hänsel und Gretel“.

Was unsere Märchen betrifft: Ich gehe von dem Originaltext aus und fülle es ein kleines bisschen auf, aber nicht über die Maßen. Weil ich die Sprache so schön finde, glätte ich sie auch nur ein ganz kleines bisschen, so Sachen, die uns ein bisschen schräg kommen. Wir hatten jetzt bei den Aufnahmen auch einige Schwierigkeiten mit „als“ und „wie“, das hat sich in den letzten 200 Jahren sehr gewandelt. Regional ist das auch immer noch sehr unterschiedlich. Wir haben bei der Aufnahme der Erzähltexte nochmal einiges repariert, aber – wie gesagt – finde ich die Sprache so unglaublich schön, dass ich die gerne erhalten möchte und möglichst viel davon in die Erzähltexte packe. Aber wir haben auch einfach gemerkt, dass wir so gute Interpreten hier vor Ort haben, die diese Rollen so bravourös ausfüllen können, nur muss man es sie ja auch machen lassen! Im Moment wird dieses Feld der Märchenhörspiele auch nicht mehr allzu stark beackert, sicherlich weil es auch bereits so vieles gute Versionen gibt. Aber man kann ja trotzdem Dinge auch gut, aber ein bisschen anders machen. Das heißt aber nicht, dass es großartige Neuinterpretationen werden, aber man lauscht einfach großartigen Stimmen, die es jetzt eben noch gibt: Dagmar von Kurmin als Frau Holle oder eben viele andere altgediente Recken, die einen riesigen Rucksack an Erfahrungen mitbringen und solche Texte großartig zu interpretieren wissen. Und das möchte ich jetzt machen und einfangen, weil wir auch im eigenen Haus natürlich eine Konsumentin haben, die nach so etwas verlangt, die auch die großen, klassischen Sachen wie „Dornröschen“ rauf und runter zum Einschlafen hört, aber auch gerne mal die hausgemachten Hörspiele hören möchte. Und der letzte Punkt ist noch: Es gibt in unserem sonstigen Repertoire an Holmes und Gruselkabinett wenig und auch nur sehr kleine Aufgaben für Schauspielerinnen. Da fehlt uns eigentlich immer etwas, um die bestellten Damen zu fordern und auch so lange zu beschäftigen, dass man sie adäquat bezahlen kann. Und da ist das dann eine Win-Win-Situation, dass man die Schauspielerinnen, die gerade da sind, sinnvoll noch etwas anderes sprechen lässt, entsprechend gut bezahlen kann und gleichzeitig sehr schöne Aufnahmen für Dinge hat, die man sowieso schon sein ganzes Leben machen wollte! Ich gebe auch gern unumwunden zu, dass es in meinem Kopf eine kleine Liste gibt, was ich in meinem Leben mal vertonen möchte. Da stehen Grimms Märchen ganz weit oben mit drauf, weil aber auch wirklich alles letztlich darauf zurück geht. Es sind alles kleine Dramen, wo Dinge verhandelt werden, die universell auf hunderte von Lebenssituationen anwendbar sind, wie sie uns jeden Tag begegnen. Das finde ich völlig faszinierend, so etwas zu produzieren. Was ich bisher sagen kann, gibt zu ganz guten Erwartungen Anlass.

           

                                       

Wonach habt ihr entschieden, welche Märchen ihr umsetzt? Wird es nur die bekannteren Märchen geben oder geht ihr auch tiefer in die Materie, oder geht ihr sogar zu anderen Autoren?             

Da bleiben wir bei Grimms Märchen. Wir machen die Reihe auf mit drei der sehr bekannten Märchen, „Der Froschkönig“, „Frau Holle“ und „Schneeweißchen und Rosenrot“. Es war schon Absicht, direkt mit drei Klassikern zu eröffnen, ab dann fahren wir einen Mix aus bekannt und unbekannt. Die zweite Folge hat als Titel „Allerleirauh“, ein zu Unrecht noch immer zu unbekanntes Märchen, wie ich finde. So geht das dann weiter, wir haben ganz viele bekannte Märchen als Titel vorne drauf, es gibt dann aber auch immer Dinge, die vielleicht nicht so geläufig sind, aber auch wunderschön sind. Das macht es wieder spannend für uns, aber auch für die Schauspieler.

   

Wie viele Folgen wird es davon im Jahr geben? Bei den Specials ist es ja eine, ihr habt mal einen Testballon gefahren, zwei im Jahr zu bringen, was nicht so gut funktionierte, habt ihr in einem früheren Interview mal erzählt.

Trotzdem haben wir hier nochmal gesagt, wir versuchen es nochmal mit zwei Folgen pro Jahr. Eine im Frühjahr und eine im Herbst / Winter. Dann werden wir sehen, wo wir da landen. Märchen von anderen Autoren werden eher in der Special-Reihe vorkommen, da habe ich auch wieder einiges gefunden.

Zum Beispiel?

Wie gesagt: Zwei Bärengeschichten kommen auf jeden Fall, im Zuge dieser Recherchen haben wir noch einige Kinderliteratur aus der Weimarer Republik gefunden, die sehr drollig ist, wo wir auch noch einmal überlegen, ob wir das nicht auch noch machen. Aber ich würde sehr gerne wieder etwas von Hans Christian Andersen machen, weil ich diese Märchen so unglaublich liebe. Die haben oft einen traurigen Touch, aber vielleicht liebe ich sie auch gerade deswegen, es hat eben immer so viel Seele. Ich würde sehr gerne die Version, die er gemacht hat, mit den wilden Schwänen und „Das Feuerzeug“ umsetzen, das ist eine andere Version von dem, was unter „Das blaue Licht“ bei Grimm bekannt ist. Das sind einfach inspirierende Situationen, die es da zu gestalten gibt, gerade Begegnungen mit übersinnlichen Wesen wie einer Hexe, das macht wahnsinnig viel Spaß. Dieses ganze Kindersegment ist bei uns von Anfang an leider ein Spaßprojekt, da wird man leider nie einen großen Gewinn mit erwirtschaften, dafür ist der Kinderhörspielmarkt einfach zu dominiert von anderen, langlaufenden Serien, da kommt man nicht dazwischen. Aber es ist bei uns ein innerer Drang, das auch zu machen, und wir sehen im eigenen Haushalt auch, wie dankbar das angenommen wird, uns macht es auch wahnsinnig viel Spaß, diese Stoffe zu vertonen, es wird ja auch offenbar von den Hörern geliebt und wertgeschätzt. Für uns ist es eine Bereicherung von dem, was wir sonst machen, dass es da was gibt jenseits von Grusel und Mystery.

Ich freue mich, dass ihr einfach nochmal Märchen macht, weil ich die immer noch gerne höre. Ich finde es schade, dass sie heute so wenig Anklang finden, dass sie immer noch als etwas Angestaubtes empfunden werden. Ich fände es auch völligen Quatsch, wenn die Hexe am Ende nicht verbrannt werden würde.

Ja, und sie muss schreien, weil das ja weh tut. Sie muss ganz schrecklich schreien! Das macht Erika Bramslöw ganz wunderbar, das ist ja so ein Jaulen, was sie da im Backofen macht, das finde ich grandios. Das ist meiner Meinung nach die beste Version von „Hänsel und Gretel“. Tatsächlich finde ich von diesen ganz klassischen Stoffen die Europa-Versionen, das ist ja alles noch aus dieser Pionierzeit von Claudius Brac (hinter diesem Pseudonym haben sich ja Andreas Beuermann und Sieglinde Dziallas gemeinsam verborgen), noch vor Konrad Halver, Dagmar von Kurmin und Heikedine Körting, die Versionen vom „Froschkönig“, „Hänsel und Gretel“, „Aschenputtel“, „Frau Holle“, „Rapunzel“ – das war anstrengend. Das sind Versionen, die kenne ich zwar auch aus meiner Kindheit, aber die haben mich nie so gepackt. Heute weiß ich auch, wenn ich sie wieder höre, warum das so ist. Das hat alles noch etwas Steriles und wenig Gestaltetes, was Musik betrifft. Es ist alles so buchhaltermäßig abgearbeitet, so wenig lebendig. Heikedine Körting hat ja zu Anfang ihrer Hörspielzeit ihr Metier in den Märchen gefunden, und da hat sich ja wirklich sofort ihr sehr großes Talent für die Sache gezeigt, weil sie das dann richtig gut gemacht hat, diese Andersen-Bearbeitungen und auch, was sie dann selbst inszeniert hat. Da sind auch Sachen dabei, die wir in den „Träumereien an französischen Kaminen“ als inszenierte Lesung vertont haben, da hat sie „Pechvogel und Glückskind“ umgesetzt, das waren immer so die B-Seiten, kennt kein Mensch, aber wunderschön! Das war sehr hübsch von der Musik gemacht, unglaublich schön von der Dialogbearbeitung, da waren dann natürlich Bernd Kreibich, Reinhilt Schneider, Hans Paetsch sowieso, Joachim Rake oder Dagmar von Kurmin, Katharina Brauren, Marga Maasberg am Amt – das waren diejenigen, die genau wussten, was sie da gemacht haben.

Bei uns hatte ich das Gefühl, dass ich ja auch diese Kaliber der heutigen Zeit bei mir sitzen habe und ich einfach möchte, dass die eine Hexe oder eine böse Stiefmutter oder im Fall von Reinhilt Schneider auch noch mal ein paar Prinzessinnen, die sie bislang noch nicht gesprochen hat, für uns bitte sprechen, damit das für die Nachwelt gesichert ist. Ich möchte erwähnen, dass dieses Projekt in unserem Hause auch nicht ganz unumstritten war und Stephan unglaublich überrascht war über diesen positiven Aufschrei im Internet, als wir „Grimms Märchen“ angekündigt haben, weil er gedacht hat: Das kann man machen, muss man aber nicht machen. Das waren so viele „Gefällt mir“-Angaben und so viele Kommentare in Richtung von „Ich habe immer davon geträumt mal Grimms Märchen in einer Titania Medien-Version zu hören“ – das war uns ehrlich gesagt gar nicht bewusst, aber das ist natürlich ein großer Ansporn!

Dann gilt es jetzt für die Fans: Kaufen, kaufen, kaufen, damit das möglichst lang auf CD erhalten und mehr wie Folge zwei, vier oder fünf erleben – sehr viel mehr. Wirklich viel mehr. Was muss denn eine Vorlage bieten, damit sie euch für ein Hörspiel inspiriert und gibt es auch eine Produktion, wo ihr sagt: Da freuen wir uns in nächster Zeit ganz besonders drauf, das zu machen.

Mit Herzblut sind wir ja immer dabei. Das kann man auch schwer sagen, wir produzieren ja nichts, weil wir es müssen, wir haben uns die Sachen ja schon ausgesucht. Wir sind in der glücklichen Lage, dass wir unabhängig sind und uns niemand vorschreibt, welche Stoffe wir umzusetzen haben. Insofern gibt es Favoriten, aber irgendwo hat man ja alle seine Kinder gleich gern.

Nein.

Nein?

Nein. In der Tat bemühe auch ich mich, alle meine Kinder gleich lieb zu haben, dennoch kommt es vor, dass auch Stoffe, zu denen ich mal Ja gesagt habe, sich in der Produktion als etwas schwierig erweisen. Manchmal kommt es auch vor, dass es im Studio schwierig wird. Letztlich bin ich dann froh, wenn die beiden Korrekteure beim Abhören der CD sagen: Ich weiß gar nicht, was du willst. Für mich ist das dann aber doch belastet und ich kann es nicht mehr ganz unbefangen hören. Wenn du fragst, was mich in dieser Staffel besonders freut, möchte ich sagen, dass ich die sechs Gruselkabinett-Folgen, die jetzt kommen, alle spannend finde. Die beiden Holmes-Folgen haben auch einen so unglaublichen Spaß gemacht, die Dialogbücher zu schreiben. Jetzt sind die Aufnahmen dafür und ich kann es schon gar nicht mehr abwarten, zu hören, was die beiden in Berlin da wieder draus machen werden. Das wird ein sehr schöner Kontrapunkt zu diesem Mayerling-Hörspiel. Es gibt wieder zwei Fälle, wo ich Holmes und Watson reingebastelt habe, aber die Fälle an sich sind auf eine ganz kleine Weise so unglaublich spektakulär, dass mich das wieder völlig fasziniert, auch so unterschiedlich in der Art und Weise, wie sie ablaufen. Einfach zwei schöne Facetten für die beiden Jungs, die da gezeigt werden konnten. Lutz Reichert war sehr glücklich, weil in dem ersten der beiden Fälle Inspektor Lestrade einen riesigen Auftritt hat, er war noch nie so viel dabei wie dieses Mal. So etwas bietet natürlich Konfliktstoff in jeder Richtung, das hat mir beim Texten so viel Spaß gemacht, da freue ich mich sehr drauf. Im Gruselkabinett ist ganz besonders natürlich der Hans Heinz Ewers-Titel ein Liebling, weil ich einfach nach „Die Spinne“, „Alraune“ und „Die Topharbraut“ so eine leichte Seelenverwandtschaft zu ihm verspüre. Das ist immer ein unglaublich schönes Arbeiten, diese Texte als Hörspiele umsetzen zu können. In dem kommenden Titel „Der letzte Wille der Stanislawa d’Asp“ gibt es endlich ein Wiederhören mit Daniela Hoffmann.

Ich habe so lange darauf gewartet, weil ihr im letzten Interview ja auch erwähnt habt, dass ihr unbedingt nochmal mit ihr aufnehmen wolltet.

Aber es muss ja auch die richtige Rolle sein – das ist eine fulminante Wiederkehr von unserer Camilla aus Folge eins jetzt in Folge 163. Also sehr viel später, aber sie konnte sich noch an uns erinnern, als wir sie angefragt haben. Es ist grandios, was sie auch diesmal wieder „abgeliefert“ hat. Sie sagte bei den Aufnahmen zwischendurch: „Also, davon brauche ich auf jeden Fall einen Beleg. Das finde ich so irre, diese Geschichte.“ Jaja, der Ewers hat sich schon unglaubliche Dinge einfallen lassen, unter Zuhilfenahme von diversen Drogen, was ich natürlich nicht gutheißen möchte, aber das Ergebnis spricht für sich. Das hat mir viel Freude bereitet, auch ansonsten ist eine sehr schöne Besetzung am Start dafür, auch zwei sehr schwierige Männerrollen mit Patrick Bach und Dietmar Wunder besetzt, die sich da um die Dame „balgen“. Da bin ich fast fertig mit dem Schnitt und sehr zufrieden damit, wie es geworden ist. Es fängt auch gleich so schön an. Daniela Hoffmann macht sich eine Pulle billigen Sekt auf und gießt sich ein Glas ein in der Garderobe eines heruntergekommenen Tingeltangels, es klopft und sie sagt sehr bärbeißig: „Herein!“ – mehr soll nicht verraten werden. Ewers schafft es einfach immer, einen so reinzuziehen in diese Erlebniswelten seiner Figuren, wie ich das selten zu lesen bekomme. Es ist einfach so eine gewaltige Sprache, die da aufgefahren wird. Peter Weis spricht wieder die Erzähltexte und hat es so großartig gemacht und sich auch noch einmal im Vorfeld sehr umfassend über den Autor informiert. Auch eine weitere Europa-Legende, Ingeborg Kallweit, haben wir zum ersten Mal dabei! Sie ist ja auch in den 70er Jahre Märchen-Produktionen von Europa oft dabei und gibt bei uns jetzt die Schwiegermutter. Sie hat sich auch so unglaublich viele Gedanken gemacht, wie sie das spielen will. Das Ergebnis spricht dann letztlich wieder für sich, wenn solche erfahrenen Menschen das machen.

   

Das andere, worauf ich mich sehr freue, einfach weil es eine so schöne Abwechslung ist, ist „Das alte Kindermädchen erzählt“. Das ist etwas, das von unserem lieben Freund aus England Dr. K. an uns herangetragen wurde, der sich in der Gruselliteratur sehr gut auskennt. Ein faszinierender Text, und das Schöne daran ist, dass fast nur weibliche Rollen vorkommen. Wir sind immer auf der Suche nach so etwas, weil es erstens für uns schöner ist, wir können die Aufnahmen besser disponieren, es ist für den Hörer schöner, weil es auch mal eine Abwechslung gibt. Es gibt genug Gruselkabinett-Folgen, in denen nicht eine einzige Frau vorkommt. Schade, weil wir so potente Interpretinnen kennen, die können und wollen, aber sie müssen natürlich auch die Möglichkeit dazu haben. Die weiblichen Erzählerin in der Geschichte ist die großartige Herma Koehn, mit der wir jetzt zum zweiten Mal gearbeitet haben. Die ersten Aufnahmen liegen jetzt ja auch schon einige Jahre zurück, aber da ist der Kontakt nie abgerissen, sie hat mich immer auf dem Laufenden gehalten, was sie aktuell an Projekten hat, hat immer nett geschrieben, auch in der Corona-Zeit noch einmal, wie sie eine Aufnahme zu Hause für etwas gemacht hat, was dann bei YouTube von ihrer Kirchengemeinde reingestellt wurde. Wir haben das erste Mal mit Elga Schütz gearbeitet, die man ja auch aus „Drizzt“ kennt oder aktuell aus „Hanni & Nanni“. Eine großartige Schauspielerin mit einer großartigen Vergangenheit und nach wie vor einer großartigen Zukunft auf allen Gebieten. Das hat mich sehr gefreut, sie hat es ganz toll gemacht in dem Hörspiel. Julia DeLuise, die ja unsere Dorothy in „Der Zauberer von Oz“ gewesen ist – vor ihrer Eheschließung Julia Stoepel – hat das junge Kindermädchen gespielt. Weswegen diese Produktion noch etwas näher an meinem Herzen ist, ist die erste größere Rolle für unsere Tochter. Da kommt ein fünfjähriges Mädchen drin vor, und warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute so nahe liegt? Nachdem Marlene schon einzelne Sätze zu meiner vollen Zufriedenheit in diversen Produktionen gesprochen und auch ein großes Interesse für unsere Arbeit entwickelt hat, wollten wir das ausprobieren. Und wenn es nichts wird, macht es wer anders – aber es war nicht nötig.

Ist das nicht zu gruselig für sie?

Wenn man so etwas mit Kindern aufnimmt, wird es natürlich immer ein bisschen an den Erfahrungshorizont der Kinder angepasst, damit es nicht zu belastend wird. Es gibt noch eine andere Kinderrolle, das hat die Tochter von Claudia Urbschat-Mingues gemacht, die genauso alt wie Marlene ist. Die beiden mögen sich auch sehr gerne. Ella hat schon einige Synchronerfahrungen, ist ein ganz aufgewecktes Mädchen und wenn sie auf Familienbesuch in Hilden sind, ist das immer wunderbar, wenn die beiden Mädchen sich sehen können. Im Zuge dessen war es dann möglich, die eine Kinderrolle mit Ella zu besetzen, da hat Claudia dann mit ihrer Tochter im Aufnahmeraum gesessen und hatte den Kopfhörer auf. Und ich habe meine Regiewünsche Claudia gesagt und sie hat „gedolmetscht“, so dass Ella das dann machen konnte. Sie hat es ganz genau so gemacht, wie ich es auch als richtig empfunden habe, dass sie diese gruseligen Situationen kindgerecht erfahrbarer gemacht hat. Es gibt in dem Hörspiel eine Situation, da wird das Kind von dem Opa mit einer Krücke sehr schwer verletzt. Das ist schon eine bittere Sache, das hat Claudia dann so gelöst, dass sie das runtergebrochen hat auf eine Auseinandersetzung mit einem real existierenden Kind im Kindergarten. Dadurch hatte Ella den Impuls und das Gefühl, wie das damals so gewesen ist und hat es sehr schön wiederherstellen können vor dem Mikrophon – und es war dann ohne Belang, wer da jetzt eigentlich geschlagen hat. Uns Erwachsenen war es aber lieber, wenn es auf dieser Kind-und-Kind-Ebene stattfindet und nicht ein brutaler Erwachsener einem Kind etwas Böses antut. Das mache ich mit Marlene ähnlich, wenn das Situationen sind, die ein bisschen zwiespältig sind, dann erzähle ich ihr immer was leicht anderes, was sie aber vom Gefühl her doch dorthin führt, was ich dann brauche. Gott sei Dank ist das, was ich gerade erzählt habe, in der Geschichte das Brutalste, das ist eine ganz klassische englische Geistergeschichte. Ich muss dazu sagen, dass unsere Tochter schon immer recht hart im Nehmen war und ihr das bei Kinderfernsehgeschichten, die wir sie gucken lassen, eigentlich nie gruselig genug sein kann, das liebt sie sehr. Mich hat das als Kind übrigens auch immer mehr angesprochen und hingezogen als diese ganze heile Welt. Ich fand auch die dunklen Charaktere immer schon viel faszinierender.

Wollt ihr das Nähkästchen noch etwas weiter aufmachen? Was kommt denn an Gruselkabinett-Folgen im Jahr 2021, was ihr noch nicht angekündigt habt. Gibt es neben den „Grimms Märchen“ noch neue Projekte, die hier gerade noch entstehen?

Da setzt du voraus, dass wir noch mehr Zeit hätten, die wir leider nicht haben. Ich wünschte, es wäre so, aber die Kapazitäten sind voll, mehr als voll.

Es gibt eine vage Idee, die immer herumgeistert, die wir aber nicht verkünden können, von dem wir aber immer hoffen, dass wir da noch die Zeit finden, die noch mit zu produzieren. Aber da sprechen wir vielleicht nächstes Jahr nochmal drüber, ich hoffe, dass es da Neues gibt. Im Gruselkabinett kommen die Hargreaves wieder zum Zuge, die sind ja jetzt immer im Frühjahr dabei. Die Folge heißt „Ein Heim für Oscar“, und Oscar ist eine männliche Puppe. Tante Marilyn ist mit Pamela einkaufen gegangen, da ist ihr erstaunlicherweise wieder eingefallen, wie das Kind heißt, und Pamela durfte sich in einem Antiquitätengeschäft etwas aussuchen und fand dort diese Puppe mit dem beschädigten Auge. Tja, was soll man sagen? Es war vielleicht nicht die allerbeste Idee, diese Puppe mit nach Hause zu nehmen und es passieren dann sehr schreckliche Dinge. Ich freue mich sehr auf die Dialogbucherstellung, das ist eine ganz tolle Geschichte, die dieses Universum auch noch einmal etwas erweitern wird. Es ist immer ein so großes Vergnügen, mit Benedikt Weber, Stephanie Kellner und Ursula Sieg zu arbeiten, die machen das ganz großartig. Frühjahr ist immer Hargreaves-Zeit, Herbst ist Flaxman Low-Zeit. Da haben wir also immer nur noch zehn Folgen, die wir „fremdvergeben“ können, wovon eine schon von Lovecraft gebucht ist und nach Möglichkeit eine von Hanns Heinz Ewers. So wird es dann immer weniger, und dann geht es mit anderen Wünschen weiter, dann hätte man gerne nochmal etwas von Poe oder von M.R. James – es gibt so viele Wünsche und so wenig Folgen, die man dann da zur Verfügung hat. Wir sind mit dem Gruselkabinett sehr weit in der Planung, wir haben die Corona-Zeit, in der andere Sachen liegen geblieben sind, genutzt, um die Literatur weiter zu durchforsten und einen Produktionsplan für die nächsten Staffeln zu machen.

                                              

Es kommt ein weiterer Titel von Wilhelm Hauff: „Das Gespensterschiff“. Das ist auch in einem dieser Märchen-Almanache drin, aber das kennt man ja auch schon als Version von Heikedine Körting. Da bin ich bei meiner Arbeit für „Das kalte Herz“ dran hängen geblieben, weil ich mich einfach in diese Sprache von Hauff so verliebt habe und gerne noch einmal etwas von ihm machen wollte.

             

Dann gibt es „Eine wahre Vampirgeschichte“ von einem Herrn Stenbock, das ist ein Zeitgenosse von Oscar Wilde und eine wunderbare Geschichte, spielt wie „Camilla“ in der Steiermark und auch dort kommt jemand zu Besuch und bringt das Unheil in ein Haus mit einem Sohn und einer Tochter – man darf gespannt sein. Auch ein absoluter Klassiker: „Das tote Brügge“ von Georges Rodenbach, das gibt es als Oper von Erich Wolfgang Korngold als „Die tote Stadt“. Diese Geschichte hat einen französischen Kriminalroman beeinflusst, der von Alfred Hitchcock 1958 als „Vertigo – Aus dem Reich der Toten“ verfilmt wurde, in dem Kim Novak diese Doppelrolle gespielt hat. Es geht um einen Witwer, der seiner Frau sehr nachtrauert und dann in Brügge einer Frau über den Weg läuft, eine englischen Tänzerin, die genauso aussieht wie seine Frau und er immer im Zweifel ist, was da so hinter steckt. Die Qualität des Textes steht einem Ewers oder einem Hauff in nichts nach, eine wunderschöne Sprache, sehr interessante Situationen, die es da zu schildern gibt. Und mit „Spuk in Ballechin House“ (2 CDs im Schuber) wird Per McGraup einem historischen Spukfall zu Hörspielehren verhelfen.

              

Möchtest du zum Abschluss noch die berühmten letzten Worte an die Hörer richten? Kauft mehr CDs?

Nein, wir haben uns seit langem davon freigemacht, dass wir den Hörern „vorschreiben“, wie sie unsere Hörspiele hören sollen. Da soll bitte jeder seinen Weg finden, wie er das gerne konsumieren möchte. Für den einen ist der Stream das Richtige, andere kaufen gerne noch den Download, wieder andere möchten die CD im Regal stehen haben – wir freuen uns über jeden, der es nicht illegal downloaded und über jeden, der es bitte nicht bei YouTube für alle kostenlos hochlädt und uns Arbeit macht, dass wir es wieder umständlich löschen lassen müssen. Jeder, der es auf eine ehrliche Art hört und es mag und sich freut, das gibt uns eine positive Energie und trägt dazu bei, dass das hier auf einem hohen produktionstechnischen Niveau weitergehen kann – das würde uns am Allermeisten freuen! Ansonsten freuen wir uns über wahnsinnig nette und positive Reaktionen auf vielfältigem Wege, in sozialen Netzwerken, wir bekommen aber auch nach wie vor noch sehr viel Post, Briefe und Postkarten, in denen Leute sich sehr positiv über unsere Arbeit äußern. Das ist sehr schön, tut gut und motiviert im besten Falle zu Höchstleistungen!

 

(c) Interview poldis-hoerspielseite.de September 2020

(c) Bilder Titania Medien

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